Erich Mühsam: Unpolitische Erinnerungen

Inhalt:
Erich Mühsam schrieb seine „Unpolitischen Erinnerungen“ zwischen 1927 und 1929 als Auftragsarbeiten für eine Zeitung. Erst 1949 erschienen diese als Buch unter dem Titel „Namen und Menschen“. Er führt die Leser durch die Kneipen, Kaffeehäuser und Kabaretts, ­beschreibt die geheimen Gesellschaften, Freundeskreise, Stammtische und Wohngemeinschaften verschiedener Städte und stellt die Künstler der Boheme vor. (Inhalt lt. Verlag)

Rezension:
Posthum erschienen die „Unpolitischen Erinnerungen“ von Erich Mühsam, nachdem er 1934 im Konzentrationslager Oranienburg ermordet und nach Kriegsende die DDR gegründet worden war. Der Schriftsteller und Antimilitarist schrieb sie für eine Zeitung. Unpolitische Kolumnen eines politischen Menschen, der vom reichhaltigen und turbulenten Kulturleben der späten 1920er Jahre erzählt. Neu aufgelegt tauchen wir darin ein, erleben Frank Wedekind, Heinrich Mann und viele andere aus der Sicht eines Getriebenen.

Das vorliegende Werk ist sowohl Reportagesammlung als auch biografisches Versatzstück und zeichnet sich eben dadurch aus, dass jemand, der beständig aneckte, seine Thematik, womit er das tat, außen vorlassen musste und gerade durch diese damit entstandene Lücke erzählte. Temporeich erzählt der Autor vom wandelhaft unbeständigen Kulturbetrieb, in dem Stadtviertel zum Schmelztigel von Journalisten, Autoren und Malern wurden und ein jeder sein Auskommen suchte. Ereignisse reihen sich da aufeinander wie Perlen auf eine Kette, doch muss man aus dem Heute heraus innehalten. Was haben diese oder jene Personen zu den Zeitpunkt gemacht? Wer war das? Der Text, der sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch leicht gelesen haben muss, wirkt schwerfällig.

Und doch lohnt es sich, ihn zu lesen und nebenbei zu recherchieren. Dazu lädt Mühsam aus heutiger Sicht ein. Interessante Schauplätze für nicht minder spannende Biografien entdeckt man da und spürt doch zwischen den Zeilen, dass der Autor ihn die ganze Zeit über ahnt, den großen Knall, der da kommen wird.

Stete Wiederholungen und Rückgriffe auf Vergangenes machen es nicht leicht, im Lesefluss zu bleiben, auch den Überblick zu bewahren. Hier wird heute vor allem angesprochen, wer sich in der Kulturszene auskennt, innerhalb dessen diese Texte, die hier so schön versammelt sind, bereits auskennt. Für andere bleibt der Text nurmehr als Stichwortgeber eines ruhelosen Menschen, der stets, so scheint es, glücklos gewesen ist, dessen Biografie nur so von Rückschlägen gezeichnet ist und für sich genommen spannender wirkt als es die „Unpolitischen Erinnerungen“ vermögen, zu erzählen. Eben, weil aus heutiger Sicht der politische Teil fehlt, was nicht die Schuld des Autoren selbst ist, jedoch viel zu wenig ausführlich durch den diese Ausgabe begleitenden Text eingeordnet wird.

Und das erzeugt hier ein unrundes Werk, aus heutiger Sicht, eines Menschen mit Ecken und Kanten.

Ergänzung:
Nachtragen möchte ich hier die einordnenden Worte von Henning Venske, seines Zeichens Schriftsteller und Kabarettist. Er hat zu diesem Werk Vor- und Nachwort verfasst, die ich in meiner Rezension zunächst nicht habe berücksichtigt. Ein Text muss erst einmal so für sich alleine stehen und wirken. Nun ist der Einordnende Kenner des Metiers, in dem sich Erich Mühsam bewegte, wenn auch so einige Jahrzehnte später. Ich habe daher mir seine Worte und auch meine Rezension mir noch einmal zu Gemüte geführt. Unter der Berücksichtigung bin ich gerne bereit, hier etwas Eis abzukratzen. Mit etwas Abstand würde ich vor allem dies bezüglich nicht ganz so harte Worte wählen. Vielleicht gibt es neben der Lese-Stimmung, in der man für ein Buch sein muss, auch eine Rezensions-Schreib-Stimmung? Oder es liegt einfach daran, wenn andere Bücher zuvor einem positiver erwischt haben? Wie dem auch sei, ich ergänze gerne nach nochmaligen Überlegen, die Sterneanzahl auf 3 1/2 (nicht ganz vier) Sterne, lasse aber die ursprüngliche Rezension stehen. In der Rückschau sicherlich auch nochmal interessant, sollten beide, Henning Venske und Erich Mühsam mir noch einmal begegnen.

Autor:
Erich Mühsam wurde 1978 in Berlin geboren und war ein deutscher Schriftsteller, Publizist und Antimilitarist. Als politischer Aktivist war er 1919 maßgeblich an der Ausrufung der Münchner Räterepublik beteiligt, wofür er zu Festungshaft verurteilt wurde, aus der er vorzeitig entlassen wurde. In der Weimarer Rebublik setzte er sich für die Freilassung politischer Gefangener ein. In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde er von den Nationalsozialisten verhaftet und am 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg ermordet.

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Kurt Fricke/Christoph Werner: Michel de Montaigne – Philosoph der Lebenskunst

Inhalt:
Der Franzose Michel Eyquem de Montaigne (1533-1592) wirkte viele Jahre als Jurist und Politiker (u. a. als Bürgermeister in Bodeaux), bevor er sich auf sein Anwesen im Perigord zurückzog. Hier schrieb er seine „Essais“ (dt. Versuche) nieder und begründete damit ein neues Literaturgenre, die Essayistik. In seinem Hauptwerk (1572-1592) widmete er sich dem Menschen in all seinen Facetten. Als Grundlage diente ihm das eigene Ich, das er für die damalige Zeit überaus offen behandelte.

So beschrieb er azuch seine körperlichen Gebrechen oder Probleme beim Geschlehctsverkehr. Obwohl nicht als philosophisches Werk angelegt, sind die „Essais“ gespickt mit Aussagen philosophischen Inhalts, die bis heute eine überraschende Originalität und Aktualität bewahrt haben. Die Autoren haben die Gedankengänge Montaignes nach philosophischen Fragestellungen geordnet und stellen sie mit biografischen Informationen vor. (Klappentext)

Rezension:
Eigentlich kein Philosoph, war Michel de Montaigne Beamter und Politiker im Dienste des Königs von Frankreich, doch befähigte seine finanzielle Unabhängigkeit und nicht zuletzt seine Bildung ihn, sich über grundsätzliche gesellschaftliche Fragen Gedanken zu machen und sie zu seinem eigenen Leben in Bezug zu setzen. Für die damalige Zeit recht fortschrittlich, war er dabei an manchen Stellen dem Denken Immanuel Kants, welcher 200 Jahre später lebte, als denen der Gesellschaft, in der er lebte. Der Historiker Kurt Fricke und der Germanistiker Christoph Werner haben sich den niedergeschriebenen „Essais“ Montaignes angenommen. Herausgekommen dabei ist eine bemerkenswerte Übersicht.

Wie in den anderen Heften der Reihe „Philosophie für untwergs“, die mittlerweile mehr als zwanzig Hefte umfasst, hat man sich hier zunächst mit der Biografie der dargestellten Persönlichkeit befasst, die, gelinde gesagt beeindruckend ist. Aus einer sichtlich priviligierten Position heraus, seiner gesellschaftlichen Stellung folgend, machte Montaigne sich durchaus ganzheitlich fortschrittliche Gedanken, ohne jedoch die Staatsform etwa, von und in der er lebte, grundsätzlich in Frage zu stellen. Dennoch war dies der Kirche nicht geheuer, so dass seine Schriften nach seinem Tod zunächst auf den Index gestellt und erst Jahrzehnte später wieder freigegeben wurden. Bis dahin hatte sich jedoch das gesellschaftliche Denken so gewandelt, dass man die von ihm dargestellten Punkte nicht mehr ignorieren konnte.

Kurzweilig und konzentriert stellen die Autoren den Lebensweg Montaignes dar, bevor sie auf die einzelnen Punkte seiner Schriften eingehen. In Bezug zu seiner eigenen Biografie stellt er Erkenntnistheorie, Ethik und Religion auf den Prüfstand, nicht zuletzt auch Politik und Gesellschaft und zeigt, für diese Zeit nicht selbstverständlich, ziemlich fortschrittliche Ansichten, die sich teilweise auch ins Heute übertragen lassen. Damit nimmt er, so erläutern dies Fricke und Werner eine Position innerhalb der Aufreihung von Philosophen ein, die ihn, obwohl er sich dort nicht hauptsächlich einordnen lässt, die ihn gleichberechtigt zu Kant, Platon und anderen erscheinen lässt, die ebenfalls Bestandteil dieser Reihe sind. Gleichzeitig wird so der Blickwinkel der Philosophie und deren Übersetzung auch in den, damaligen, praktischen Alltag veranschaulicht.

Zwischen den Heften der „Philosophie für unterwegs“, ist dieses aufgrund derer beschriebenen Person ein herausragendes, welches auch gelesen werden kann, wenn man ansonsten nur wenig Zugang zur Philosophie hat.

Autoren:
Kurt Fricke wurde 1967 in Halle/Salle geboren und ist ein deutscher Historiker, Verlagslektor und Autor. Nach Schlosserlehre und Militärdienst studierte er zunächst Geschichte und Philosophie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, bevor er als freiberuflicher Historiker tätig war. Nach seiner Promotion begann er im Lektorat beim Mitteldeutschen Verlag und verfasste verschiedene Veröffentlichungen zur deutschen Zeitgeschichte. Im Jahr 2010 erschien sein erstes Prosa-Debüt.

Christoph Werner wurde 1939 in Halle/Saale geboren und ist ein deutscher Schriftsteller, Literaturwissenschaftler, Sprachlehrer und Übersetzer. Zunächst studierte er Anglistik und Germanistik und war im Anschluss Lehrer an einer Oberschule und im Hochschuldienst tätig. Seine sprachwissenschaftliche Tätigkeit schlug sich in mehreren Veröffentlichtungen zur englischen Fachsprache der Verfahrenstechnik wieder. Naxch seiner Promotion arbeitete er als selbstständiger Übersetzer und Sprachlehrer und siedelte 1989 in die Bundesrepublik Deutschland über. Bis 2002 war er wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Angewandte Sprachwissenschaft der Universität Hildesheim tätig. In diese Zeit fiel die Veröffentlung seines ersten Werkes, zudem schrieb er zahlreiche Geschichten für eine literarische Zeitschrift des Wissenschaftlichen Verlages Trier.

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Pavel Taussig: Ich habe den Todesmarsch überlebt

Inhalt:
Pavel Taussig wird 1933 im slowakischen Pressburg in eine jüdische Familie geboren. Im November 1944 wird die Familie nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Pavel und seine Eltern werden getrennt. Nach mehreren Todesmärschen und seiner Befreiung im mai 1945 muss der Elfjährige für mehrere Monate in verschiedene Krankenhäuser. Anschließend trifft er Mutter und Vater in seiner Heimatstadt wieder. Die politischen Umstände des Prager Frühlings zwingen Pavel Taussig 1968 zur Auswanderung in die Bundesrepublik Deutschland. (Klappentext)

Rezension:
Welche unmenschlichen Kräfte muss, kann man mobilisieren, um zu überleben? Zumal als Kind. Pavel Taussig erzählt davon, mit Hilfe seines Tagesbuches, welches er direkt nach der Befreiung von den Nazis begann als Elfjähriger zu führen. Als Kind hatte er die Todesmärsche durch die Konzentrationslager überlebt, zu denen er und andere gedrängt wurden. Direkt nach dem Krieg war er so geschwächt, dass erst ein monatelanger Aufenthalt in verschiedenen Krankenhäusern dazu verhalf, zu Kräften zu kommen.

Davon erzählt er, der zunächst auch unter besonderen politischen Umständen relativ behütet in Bratislava aufgewachsen war. Vor der Zerschlagung der Tschechoslowakei in weiser Voraussicht kurz nach der Geburt getauft, auch die Eltern hatten sich kurz vorher taufen lassen, galt er aufgrund eines Dekretes so nicht als Volljude, was ihn bis kurz vor Ende des Krieges vor den Zugriffen, wenn auch nicht vor Ausgrenzungen schützen sollte. Erst im Jahr 1944 sollten die Gardisten, die slowakischen SS-Einheiten seine Familie verhaften und so sollte auch für das Kind Pavel ein schmerzlichs Martyrium beginnen.

Es ist eine dieser Erinnerungen gegen das Vergessen, die einem innehalten und nicht mehr los lassen. Nach der Befreiung aufgeschrieben, spürt man trotzdem all die Schmerzen und noch frischen offenen Wunden, das Grauen eben gerade so überlebt zu haben. Beim Lesen hat man das Gefühl durch die einzelnen Einträge zu raßen. Fast wirkt es so, als wollte der Autor schnell zu den Punkt des Kriegsendes gelangen, was ja auch verständlich ist. So sind diese Erinnerungen zweigeteilt. Da sind die Erinnerungen vor Kriegsende, beinahe in eine Art Rohfassung belassen. Der kindliche Blick ist unverstellt, nur auf das Notwendige ausgerichtet. Taussig hat da nicht viel ausformuliert. Sehr nüchtern wirkt die Betrachtung.

Der zweite Teil, die Schilderungen der Krankenhausaufenthalte, die Sehnsucht nach den Eltern und dem Zuhause wirken da natürlich emotionaler, wenn sich auch hier eine dichte Taktung der Einträge zeigt. Der Autor wollte erzählen, für die Nachwelt bewahren, jedoch nicht lange verweilen. Trotzdem ist die Niederschrift, ergänzt durch einen Karten- und großzügigen Fototeil wichtig, dass es sie gibt.

Es sei allen empfohlen, sie zu lesen.

Autor:
Pavel Taussig wurde 1933 in Bratislava, Tschechoslowakei, geboren und ist ein slowakischer Schriftsteller, Satiriker, Autor und Fotograf. Gleich nach der Geburt getauft, war seine jüdische Herkunft zu Hause kein Thema. Taussig wuchs in einer wohlhabenden und vollständig assimilierten Familie auf und wurde erst 1944 zusammen mit seiner Familie verhaftet. Als Kind überlebte er mehrere Konzentrationslager und Todesmärsche und wurde nach der Befreiung aufgrund von gefährlichen Magenbeschwerden und Tuberkulose in mehreren Krankenhäusern behandelt, sowie ein Jahr in der Hohen Tatra wegen Tuberkulose behandelt.

Nach einem Besuch des Gymnasiums studierte er die slowakische Sprache und Bibliothekswissenschaft und war nach einer Tätigkeit als Bibliothekar für eine Satirezeitschift tätig. In Folge des Prager Frühlings floh er mit seiner Frau nach Deutschland und arbeitete dort für eine Satirezeitschrift und war Mitgründer der Titanic. In den 1980er Jahren veröffentlichte er eine Kurzgeschichte und eine Cartoonsammlung. Für seinen Sohn übersetzte er sein Kindertagebuch, die darauf aufbauende Biografie erschien 2018 in Tschechien, vier Jahre später in Deutschland.

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Karl Kraus: Die Sprache – Der Eros der Logik

Inhalt:
Für Kraus ist die Sprache nicht bloß Kommunikationsmittel für beliebige Zwecke, sondern vielmehr ein wahrhaftiger Ausdruck des Denkens, der sich in Form und Inhalt vereinigt. Daher kämpft er in seier Kritik insbesondere gegen die „Verlotterung“ der Sprache an, worunter er die Korruption, die Unwahrhaftigkeit im Denken und die Verfallserscheinungen in Kultur und Gesellschaft insgesamt versteht. (Klappentext)

Rezension:
Die kleinste Unstimmigkeit, die scheinbar eine höchst lokal und zeitlich begrenzte Bedeutung hat, offenbart die großen Übel der Epoche und der Welt. Davon war der österreichische Kultur- und Sprachkritiker, der Publizist Karl Kraus überzeugt, der die Sprache für einen der wichtigsten Indikatoren für die Missstände auf der Welt hielt. Im nachlässigen Umgang mit ihr sah er den nachlässigen Umgang seiner Zeitgenossen mit allen Fragestellungen und Herausforderungen. Regelmäßig schrieb er gegen den Missbrauch der Sprache in seiner von ihm selbst gegründeten Zeitung „Die Fakel“ an. Einige der Aufsätze und Essays, die später auch in Buchform erscheinen sollten, sind hier nun neu auferlegt und versammelt.

Akribisch verfolgte Sprachanalythik mit derer er die sprachliche Inhumanität von Presse und Journalistik aufdecken wollte, gewürzt mit einer gewaltigen Portion Spott und Skepsis, auch gegenüber den eigenen Betrachtungen zeichnen seine Texte aus und geben uns heute einen Überblick über den damaligen Sprachgebrauch und eine besondere Sicht auf so manchen auch schon zu Kraus‘ lebzeiten hochgelobten Schriftsteller. Für ihn war die Presse Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges und für die Kriegsbegeisterung, Schreibtischtäter als Kriegshetzer, denen er die Finger in die Wunden legt.

Dabei spielt er mit Gegensätzen, Formulierungen, argumentiert so lange, bis man lesend innehalten muss, Passagen erneut lesen. Leichte Kost sind Kraus‘ Texte nicht, waren sie nie. Um so ausführlicher sie sind, um so länger hat man daran zu kauen, beginnt selbst mit Sprache zu spielen. Für ihn galt der Wert der Worte. Das wirkt missionarisch. Der erhobene Zeigefinger des Autoren schwingt überall mit. Aus den Texten allein erschließt sich dessen kritischer Blick auf die Welt. Nie kommt da der Eindruck auf, einen einfachen Menschen vor sich zu haben. Dennoch blitzt hier und da eine Prise Humor durch. Man merkt die Freude am Spiel mit der Sprache, eines Karl Kraus, der sich damit nicht wenige Feinde gemacht haben dürfte, der sich nie einordnen ließ.

Wenn wir etwas von dieser Unbeugsamkeit und dem Sprachwitz mitnehmen können, auch eine gehörige Portion Gesellschaftskritik, die sich durchaus ins Heute übertragen lässt, ist schon viel gewonnen.

Autor:
Karl Kraus wurde 1874 geboren und studierte zunächst Jura, wechselte aber wenig später zu Philosophie und Germanistik. Er war ein österreichischer Schriftsteller, Publizist, Satiriker, förderte junge Autoren und war Sprach-, Kultur und Medienkritiker zugleich. Zu seinen wichtigsten Werken gehört sein Drama „Die letzten Tage der Menschheit“ (1918), sowie seine Zeitschrift „Die Fackel“, welche 1899 gegründet wurde und bis 1936 erschien. Er starb 1936 in Wien.

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Johannes Thome: Sokrates – Philosoph der Selbsterkenntnis

Inhalt:
Die Bedeutung des griechischen Philosophen Sokrates (469-399 v. Chr.) kann nicht überschätzt werden. Ohne ihn gäbe es keine europäische Philosophie, wie wir sie heute kennen. Dabei hat Sokrates selbst nichts Schriftliches hinterlassen; seine Ansichten wurden stattdessen durch seine Zeitgenossen Platon und Xenophon vermittelt. Sokrates‘ „Philosophie des Nichtwissens“ ist ein nie abgeschlossener Prozess des Bemühens um Wahrheit im Dialog. Man kann in Sokrates einen „disruptiven Influencer“ sehen, der keine unhinterfragten Meinungen gelten lässt und jede Überzeugung kritischer Prüfung unterzieht.

Im Zentrum seines Denkens steht der Mensch. Sein Anliegen ist die Erziehung zum Selberdenken, sein Ziel die Selbsterkenntnis. Für das Establishment wurde er zur Bedrohung und zum Tode verurteilt. Gerade in Zeiten, in denen das Selbstdenken zunehmend aus der Mode kommt, ist Sokrates von ungeahnter Aktualität. (Klappentext)

Rezension:
Wer war eigentlich Sokrates? Bürger der antiken griechischen Polis Athen, der mit seinem ständigen Hinterfragen den Regierenden zu gefährlich wurde, so dass sie ihn schließlich zum Tode verurteilten. Philosoph, der im Gespräch mit anderen diese zur Selbsterkenntnis bringen wollte, dessen Gedankenkonstrukt sich im steten Fluss befand, der nichts festhielt, dessen Lehre von seinen Schüler von der Straße in die Schulen und Institutionen geholt wurde, obwohl Sokrates selbst nichts davon hielt? Zumindest den Überlieferungen nach.

Der Philosoph und Sozialpsychologe Johannes Thome hat sich für die Reihe „Philosophie für unterwegs“ mit den Mann beschäftigt, der heute als einer der Grundsteinleger für die europäische Philosophie gilt, und zeigt, welche Art von Denker Sokrates heute wäre und was uns die Beschäftigung mit seinen Lehren heute gibt. Entstanden ist dabei ein weiteres kleines informatives heft, welches wie auch andere innerhalb der Reihe eine Einführung in Leben und Werk hier dieser Persönlichkeit gibt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Zunächst beschäftigt sich der Autor ausführlich mit der Biografie, jedoch nicht ausufernd, so dass wir nicht in die Gefahr der Überinterprätation geraten. Thome zeigt, wie das Leben Sokrates‘ aussah, welche Persönlichkeiten ihn umgaben und wie zu Lebzeiten mit den Menschen und damit auch seiner Methoden umgegangen wurden ist. Wer waren seine Freunde und Unterstützer? Was brachte ihn zu Fall und weshalb führte die Befolgung seiner Lehre für ihn zum Tode, gleichwohl man ihn wohl mehrere Chancen bot, dem Urteil zu entrinnen. Dies ist ausreichend, um sich ein Bild der damaligen Lebenssituation des Philosophen bewusst zu werden, um dann mit dieser Grundlage in die eigentliche Gedankenwelt Sokrates‘ einzusteigen.

Ab hier verschwimmen die Grenzen. Sein Schüler Platon baute einst in seinen Sokrateschen Dialogen, einer Gesprächstechnik, die dazu dient, das Verständnis des Gesprächpartners zu vertiefen und zu hinterfragen, Sokrates selbst als Person ein, so dass sich heute nur mehr schwer sagen lässt, wie viel davon wohl wirklich auf ihn zuzuschreiben ist. Doch kristallisieren sich mehrere Säulen seiner Methodik heraus, die der Autor hier kurz und prägnant erläutert.

Zunächst wäre da die auf Fragen basierende Gesprächstechnik, der sogenannten Elenktik, die einen Denkprozess in Gang setzen soll, als auch die Mäeutig, das Hervorbringen von Ideen und Erkenntnissen aus dem Inneren. Gewürzt mit einer gewaltigen Portion von Ironie. Der Überzeugung, zwar von vornherein keine genauen Antworten zu kennen, aber mit dem unbedingten Nachfragen und Forschen das Richtige zu tun. Am Beispiel des Prozess‘ gegen Sokrates und seiner Verurteilung, dessen Umgang damit, zeigt Thome die Auswirkungen der Philosophie am Beispiel ihres Lehrenden, als der er sich selbst nicht unbedingt gesehen haben muss.

Dies führt im Anschluss in die Übertragung auf das Heute. Schnell wird da der Bogen gespannt, zur Institutionalisierung der Philosophie, welche er wohl ebenso verabscheuen würde, wie auch die „marktschreierische Omnipräsenz eines alles- und besserwisserischen Richard David Precht“ (Zitat!) und welche Stellung er dazu einnehmen würde. Dies ist zwar ein Gedankenspiel des Autoren, welches sich aber sehr gut einfügt und den Abschluss der hier gestalteten kurzweiligen Einführung bildet.

Mehr braucht es auch dafür nicht.

Autor:
Johannes Thome wurde 1967 in Saarbrücken geboren und ist ein deutscher Psychiater und Sozialpsychologe. Er studierte Medizin, Philosophie und Sozialpsychologie und absolvierte eine Ausbildung in der Psychiatrie in Würzburg, arbeitete anschließend als Postdoktorand in Yale. Vor seiner Tätigkeit als Facharzt forschte er auf dem Gebiet der molekularen Psychiatrie und Psychopharmakologie und war unter anderen in Mannheim und Heidelberg tätig.

Von 2004 bis 2011 hatte er einen Lehrstuhl für Psychiatrie in Wales inne, seit 2011 ist er an der Universität Rostock, sowie in der dortigen Klinik und Poliklinik tätig. Er veröffentlichte zahlreiche Artikel in verschiedenen Fachzeitschriften, und beschäftigt sich mit psychiatrischen Störungen, sowie interdisziplären Aspekten, z. B. Philosophie. Er ist Mitglied verschiedener Fachverbände und engagiert sich in der Organisation unterschiedlicher psychiatrischer und pharmakologischer Forschungskongresse.

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Sidonie-Gabrielle C. Colette: Cheri

Inhalt:
Colettes bekanntester Roman „Cheri“, der 1920 veröffentlicht wurde, handelt von der alternden Halbweltdame Lea, die sich in den Sohn einer Freundin verliebt. Sie beginnt eine Liebesbeziehung mit dem nicht einmal halb so alten Cheri. Und das Verhältnis geht gut, bis Cheris Mutter beschließt, ihn zu verheiraten. In einem poetisch-erotischen Stil beschreibt Colette die gegenseitige Zuneigung des Paars in seiner luxuriösen Umgebung – die Abhängigkeit des jungen Mannes von der älteren Frau, die sich stolz gegen das Altwerden wehrt und am Ende doch ihren Frieden damit schließt. (Klappentext)

Rezension:
Ein Gesellschaftsroman wie ein Kammerspiel, das ist die Erzählung „Cheri“, der französischen Autorin Sidonie-Gabrielle Claudine Colette, die für ihr Leben und Werk als zweite Frau Frankreichs mit einem Staatsbegräbnis geehrt wurde. Erschienen ist der Text erstmals zu Beginn der 1920er Jahre und sorgte zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung durchaus für Stoff zur Diskussion. Wie aber wirkt die Geschichte heute? Ist sie immer noch genau so gut lesbar und einprägsam?

Schon zu Beginn der Erzählung wähnt man sich als Zuschauer eines Theaterstücks. Das Figurentableau wie auch die Anzahl der Schauplätze sind überschaubar. Ersteres ist auf zwei Hauptprotagonisten beschränkt, die alleine schon durch ihren Dialog an Konturen gewinnen. Wenige Nebenfiguren runden das Ensemble ab. Alleine Lea und Cheri, die sich miteinander und ihrer beider Leben auseinandersetzen müssen, reichen vollkommen aus, um die Handlung voranzutreiben. Diese plätschert so dahin, was zur Umgebung beider Personen passt, die sich um nichts auf der Welt Sorgen machen müssen.

Die Finanzen sind gesichert, woher das Geld kommt ist über weite Strecken nicht ganz klar. Man lebt in den Tag hinein, füreinander gegeneinander. Der Altersunterschied beider zueinander ist Antriebsfeder, Konfrontationspunkt und Ablenkung zugleich. Die Autorin nutzt dies als Spannungsmoment. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war dies durchaus ein Aufreger.

Wie gehen die Figuren damit, wie die Umgebung damit um? Was haben beide einander zu geben? Steckt Liebe dahinter? Zeitvertreib gegen die Langeweile eines gesellschaftlich sonst nicht aufregenden Lebens? Fragen, die man sich mit den ersten Zeilen stellt, wenn die Figuren an Konturen gewinnen. Der Konflikt indes lässt nicht lange auf sich warten. Als der jüngere Cheri verheiratet werden soll, gehen beide mit der Situation unterschiedlich um, was Folgen haben wird.

Mehr passiert im Grunde nicht. Tatsächlich kommt die Geschichte, die im Grunde nur aus inneren Gedankengängen und Dialogen besteht, ziemlich ruhig daher. Die Autorin behält ein ruhiges Erzähltempo beinahe durchgängig bei, auch unser gesellschaftliches Frauenbild oder das von Beziehungen trägt dazu bei, dass am Ende gesagt werden kann, dass eigentlich nichts passiert. Versetzen wir uns aber in die damalige Leserschaft, können wir erahnen, welche Sprengkraft dieses damals sehr aufrührende Bild hatte.

Alleine dafür lohnt es sich, diesen kleinen lieben Roman wieder zu entdecken.

Autorin:
Colette, eigentlich Sidonie-Gabrielle Claudine Colette wurde 1873 geboren und war eine französische Schriftstellerin, Varietekünstlerin und Journalistin. In ihren Romanen beschrieb sie vor allem Frauenschicksale, setzte sich mit Tabuthemen ihrer Zeit auseinander, später arbeitete sie auch als Journalistin, zuvor als Varietekünstlerin. Sie starb 1954 in Paris.

Zur Autorin: Hier klicken.

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Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem

Inhalt:
Der Prozess gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, der in der internationalen Öffentlichkeit als einer der Hauptverantwortlichen für die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ in Europa galt, fand 1961 in Jerusalem statt. Unter den zahlreichen Beobachtern war auch Hannah Arendt.

Ihr 1964 auf Deutsch veröffentlichtes Buch Eichmann in Jerusalem brachte, wie die im Jahr zuvor publizierten fünf Artikel im New Yorker, Lawinen ins Rollen: Arendts „Bericht von der Banalität des Bösen“ löst seit seinem Erscheinen bis heute weltweit Kontroversen aus – und wurde zu einem Klassiker wie kaum ein Werk zur Zeitgeschichte und ihrer Deutung. (Inhalt lt. Verlag)

Rezension:
Noch als das Blatt des Krieges sich längst gewendet hatte, rollten die Deportationszüge. Organisiert von SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann. Seine Aufgabe will er zu Ende führen. Vom Schreibtisch aus organisiert er die Fahrten in den Tod. Fünfzehn Jahre später entdeckt und entführt der Geheimdienst Mossad den Organisator des Holocausts nach Israel. Dort wird ihn 1961 der Prozess gemacht. Für die Zeitschrift New Yorker beobachtet die politische Theoretikerin Hannah Arendt den Prozess, liest den Polizeibericht. Die darauf aufbauende Artikelserie und das darauf folgende Buch werden vom Erscheinen an, kontrovers diskutiert.

Der Bericht selbst ist zunächst vor allem eines, eine Reportage über einen Prozess, der versuchte, die Taten eines Mannes im Gesamtgeschehen des Holocausts einzuordnen. Kein reines Sachbuch, frei von Meinung, verfolgt die Autorin hier die Verhandlung, die sich über mehrere Wochen hinzieht und zeigt auf, was das Gericht zu Tage gefördert hat und wo es an Grenzen stößt, wo auch die Rolle Eichmanns, im Gefüge des NS-Regimes eingeordnet werden muss. Verwaltungstechnisch und geografisch.

Daß in dieser Mordmaschine jeder auf diese oder jene Weise an einen Platz gezwungen ist, auch wenn er nicht direkt in den Vernichtungslagern tätig ist, macht das Grauen aus.

Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem

Hannah Arendt zeigt, wie der Verwaltungsmassenmörder, wie eine riesige und komplexe Bürokratie den Holocaust am Laufen hielt. Und stößt mit ihren Formulierungen und ihrer Tonalität bereits bei der Veröffentlichung so manchen vor den Kopf.

Es ist wichtig zu wissen, was an welchen Orten seinen Platz hat und was wohin gehört. In einem Strafverfahren gegen einen Nazi-Verbrecher steht nicht die Geschichte vor Gericht, weder […] des Antisemitismus noch die Geschichte der deutschen Vernichtungspolitik. Auf der Anklagebank sitzt immer noch ein einzelner, ein Mensch aus Fleisch und Blut, und nur das, was eine nachvollziehbare und benennbare Verbindung mit der Frage seiner Schuld oder Unschuld hat, ist im Gerichtssaal von Relevanz.

Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem

Nach kurzer Einleitung beschreibt sie das Werden und die Zusammensetzung des Gerichtshofs, und verfolgt sogleich die Biografie von Adolf Eichmann, über die sich auch die Verhandlungen ihren Weg bannen und versuchen, ein Bild des NS-Bürokraten zu bekommen. Hannah Arendt schildert Eichmanns erste Aufgaben als Judenreferent, zunächst für Wien und schließlich als Protokollführer der Wannseekonferenz, schildert, wie die Psyche eines sich selbst überschätzenden Theoretikers seine Karriere beeinflusste, sowie später das Prozessgeschehen.

Die einzelnen Phasen des Holocausts werden anschließend geschildert, bevor die unterschiedliche Machtfülle Eichmanns in den von den Nazis besetzten Ländern beleuchtet wird. Arendt folgt auch hier den Verhandlungen, zeigt im Anschluss wie auch die Rolle und Aufgaben eines Gerichts eingeordnet werden können, bevor nach Abschluss der Politwissenschaftler Helmut König die Debatte um Arendt selbst analysiert.

Damit geht der generelle Befund einher, dass das gesamte NS-System nicht als klassische Befehlshierarchie beschrieben werden kann, in der die nachgeordneten Instanzen immer nur das ausführen, was die übergeordneten befehlen, sondern eher als ein Durcheinander, in dem sich viele Ressorts und Institutionen darin übertrumpfen wollen, den Führerwillen […] in die Wirklichkeit umzusetzen.

Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem

Hierbei setzt dieser vor allem Augenmerk auf die Wortwahl Hannah Arendts. Gerade Zeitgenossen waren von der „Banalität des Bösen“ als Formulierung so wenig überzeugt wie aufgebracht über die zur Sprache gebrachte Rolle der Judenräte, die dem NS-Regime als billige Helfer ausgeliefert ihre ihnen durch die Diktatur zugedachte Rolle versahen.

Mit grausamer Effektivität. Das Nachwort istfür sich alleine schon interessant und diskutabel genug zu lesen, der Bericht Arendts noch viel mehr. Minutiös zeichnet die Beobachterin feinsinnig die Brutalität einer emotionslosen Haltung nach, die um so erschreckender wirkt, je mehr man sich das Wirken Eichmanns vor Augen führt. Sie zeigt, wie eine ganze Gesellschaft von solchen Bürokraten zum Tode von Millionen von Menschen führte, ohne dabei selbst unbedingt zum Mörder geworden zu sein.

Treffsicher zeigt sich Arendt auch in der Analyse des Gerichts, dessen Bild von seiner Aufgabe, aber auch der polittheoretischen Grenzen, in denen es agierte. So trocken wie spannend, oft mit einem beinahe ironischen, manchmal regelrecht flapsigen Ton, zeigt die Beobachterin, die sich selbst nicht zuordnen lässt, auch ein von ihren Kritikern benannter Punkt, wie Adolf Eichmann seine Rolle ausfüllte.

Man liest das einigermaßen fassungslos, spürt die Kühle dieses Mannes, welche schaudern lässt, dieses Opportunisten par excellence, neigt der Formulierung Hannah Arendts von einem „Hans Wurst“ zuzustimmen, um im nächsten Moment die kalte Berechnung des Verwaltungsmassenmörders dahinter zu erkennen. Dies beides überein zu bringen, zu verdeutlichen, ist der Autorin gelungen. Schon damals, heute wieder ist „Eichmann in Jerusalem“ ein wichtiger Zeitzeugenbericht. Vor allem aber eine Warnung.

Autorin:
Hannah Arendt ist eine politische Theoretikerin und Publizistin. 1906 in Hannover geboren, studierte sie Philosophie und promovierte, bevor sie 1933 nach Paris emigirierte, anschließend nach New York. Von 1946 biw 1948 arbeitete sie als Lektorin und als freie Autorin, sie war Gastprofessorin in Princeton und Chicago, bevor sie ab 1967 in New York lehrte. Für die Zeitschrift New Yorker beobachtete sie den Eichmann-Prozess in Jerusalem, 1961.

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Nicolai Schwarzer: Nie wieder ist Jetzt!

Inhalt:
Nicolai Schwarzer, Initiator der Demonstration NIE WIEDER IST JETZT!, will politisch Interessierte, vor allem junge Menschen, motivieren, sich auch und gerade in der Schule mit den Themen Demokratie, Rassismus, Antisemitismus und Fremdenhass auseinanderzusetzen. hetze und Parolen werden in diesem Buch leicht verständlich Argumente entgegengesetzt. 327 #Hashtags vermittelnin klarer, nüchterner Sprache Botschaften für ein respektvolles Miteinander. (Klappentext)

Rezension:
Nach den Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 kam es bereits wenige Stunden danach zu Versammlungen und Kundgebungen. Unter anderen in Berlin die Menschen, doch nicht etwa um der Opfer zu gedenken, sondern um den Tätern Applaus zu spenden, in den Gesichtern Hass und Entschlossenheit, die man zuvor nur aus Fernsehbilder heraus gekannt hatte. Die Gegenbewegung, die Solidarität mit Israel bekunden sollte, gab es auch, doch mit weniger Teilnehmenden, vor allem weniger jungen Menschen?

Nicolai Schwarzer, Autor und Unternehmer, ließ dies keine Ruhe und so organisierte er mit anderen zusammen und vielfacher prominenter Unterstützung eine wenige Wochen später stattfindende Demonstration, die 10.000 Menschen bei widrigsten Wetter vor dem Brandenburger Tor versammelte. Für Demokratie, Zusammenhalt, gegen Fremdenhass und Antisemitismus. Startpunkt für ein hoch interessantes und wichtiges Projekt.

Dieses setzt in den Klassenzimmern an, jedoch abseits verstaubter Konzepte und arbeitet direkt mit einem eigens gestalteten Unterrichtskonzept und Hologrammtechnologie, die Prominente ins Klassenzimmer bringen und so dafür begeistern soll, miteinander ins Gespräch zu kommen. Flankiert wird das ganze von einem Sachbuch, welches fernab theoretischer Ausführungen kurz und prägnent die wichtigsten Standpunkte und Begrifflichkeiten klärt, ohne von oben herab zu agieren, aber immer heraus- und zur Diskussion aufzufordern.

Dabei werden auch hier Themen wie Engagement, Demokratie, Fremdenfeindlichkeiten und Antisemitismus aufgegriffen, aber ebenso, was europäischer Zusammenhalt bedeutet, ebenso, wenn man diesen verlässt, wie Medien und „soziale“ Medien agieren und wie populistische und vor allem rechtsradikale Parteien agieren. Nicolai Schwarzer verliert sich dabei nicht in Details, formuliert prägnant und auf den Punkt, zeigt vor allem, wie wichtig ein langfristiges Engagement und Interesse für die Demokratie ist und was uns Zusammenhalt und das Suchen von Gemeinsamkeiten bringt, anstatt dem Trennenden zu folgen.

Ein wichtiges Sachbuch, ergänzt ebenso wie das eigentliche Projekt, um die Stimmen Prominenter, von denen man nur hoffen kann, dass sie diesem auch langfristig verbunden bleiben. Zumindest bei einem sollte man da vielleicht berechtigt Zweifel anmelden, da sein Agieren nicht gerade dazu neigt, hier die Unterstützung zukommen zu lassen, die es benötigt. Anderen ist da schon eher zu glauben.

Wichtiger ist ohnehin, dass der Verein und dessen Projekt die Aufmerksamkeit geschenkt wird, die es verdient und Diskussionen angestoßen werden sowie über mancherlei Geschehnisse zum Nachdenken angeregt wird. Dazu kann auch dieses das Projekt flankierende Buch dienen, welches vor allem als Bildungsressource dienen und genug Anregungen für einem selbst geben sollte.

Projekt: Nie wieder ist Jetzt!

Autor:
Nicolai Schwarzer ist Unternehmer und Gründer der Schwarzer Unternehmensgruppe. Er war Organisator der Solidaritätsveranstaltung gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Berlin am 10. Dezember 2023. Er engagiert sich federführend im Bildungsprojekt „Nie wieder ist jetzt“, für neue didaktische Konzepte an Schulen.

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Stephan Orth: Couchsurfing 6 – Couchsurfing in der Ukraine

Inhalt:
Stephan Orth hat den Krieg Russlands gegen die Ukraine von Beginn an intensiv miterlebt. Durch seine ukrainische Freundin Julija verbindet ihn ein besonderes Band mit dem Land. Wie sieht der Alltag der Menschen aus, die geblieben sind, was lässt sie durchhalten? Und was hat das alles mit uns zu tun? Mit diesen Fragen reist er Tausende Kilometer zwischen Kyjiw und Kramatorsk, zwischen Charkiw und den Karpaten. Er wohnt bei den Einheimischen, ist beeindruckt von ihrem Mut. Und liefert uns einen packenden Bericht über das Leben im Ausnahmezustand, die Macht starker Geschichten und eine große Liebe. (Klappentext)

Rezension:
Die Form des Reisens bestimmt den Zugang zu den Menschen vor Ort. Beim Couchsurfing ist die Ebene eine ganz persönliche. Den geschützten Raum eines Hotels, eines Rückzugsortes gibt es nicht, ist man doch immer bei Einheimischen zu Gast. Der Journalist Stephan Orth nutzt dies, um Länder zu erkunden, die ganz andere Bedingungen, etwa aufgrund ihrer politischen Systeme, aufweisen, als wir diese aus West- und Mitteleuropa kennen. Ohne die Machthabenden, deren Meinung man nicht unbedingt teilt, zu unterstützen. Wie sieht dies jedoch aus, wenn diese Unternehmung noch eine weitere persönliche Ebene bekommt? Nicht nur dies möchte Stephan Orth erfahren, als er von der ukrainischen Hauptstadt aus das Land im Krieg erkundet.

Die ungewöhnliche Reisereportage beginnt zunächst mit einer philosophischen Frage. Darf man ein Land im Krieg überhaupt bereisen? Was macht es mit den Menschen dort, die womöglich traumatisiert sind und sich drängenderen Herausforderungen stellen müssen, als einem Journalisten Unterkunft zu gewähren, von dessen Wirken sie vielleicht nicht unmittelbar, vielleicht überhaupt nicht profitieren werden? Ist es zu vertreten, gegenüber Freunden und Familie, gegenüber sich selbst, sich selbst in Gefahr zu bringen, sich dorthin zu begeben, wo man die Kontrolle komplett aus der Hand geben muss? Und wurde nicht eh alles schon beobachtet, erzählt und aufgeschrieben? Und wie beginnt man überhaupt einen Text mit solcherlei Brisanz?

Der Autor nimmt zunächst die KI zu Hilfe. ChatGPT ist ja schließlich in aller Munde. Im literarischen Bereich wird über die Nutzung geradezu heftig diskutiert. Und scheitert dann am Eingangstext, humorvoll und mit zwinkernden Auge. Also doch der Feldversuch? Kontakte werden über die Couchsurfing-Plattform geknüpft, angeschrieben. Wenn die KI keinen ordentlichen Text zustande bringt, stellt sich ja wieder die Frage, darf, kann, soll man das? Rückmeldungen aus der Ukraine sind da positiv und die Koffer schnell gepackt. Zudem lebt doch die Freundin in der ukrainischen Hauptstadt. Einen Rückzugsort gäbe es also. Doch, was ist ein Rückzugsort der ebenso wie alle anderen Orte im Land zur Zielscheibe werden könnte?

Und so bereist Stephan Orth von dort aus sternenförmig das Land und trifft ständig auf Gegensätze. Innerhalb einer Stadt ist es da möglich, irgendwo Rotwein zu trinken, während einige Viertel weiter, Lücken zwischen Plattenbauten klaffen. Resultate und Mahnmale des letzten Raketenangriffs. Wie gehen die Menschen mit diesem Wechselbad um? Mit Verlust, der unterschwelligen Anspannung? Welche Unterschiede ergeben sich da im Osten zum Westen des Landes, von Nord nach Süd? Der Autor fragt nach und entdeckt Durchhaltewillen, Lebensfreude, Verlust und Hoffnung, Menschen, die sich engagieren, die Pläne und Träume haben oder einfach nur kämpfen, da sie schlicht keine andere Wahl haben.

Wie prägt dies das Bild der Ukrainer im Land? Was dringt davon nach außen? Was müssen vor allem wir uns vergegenwärtigen, wenn wir über den Krieg, Waffenlieferungen oder die Aufnahme von Flüchtlingen sprechen? In seiner Reisereportagae fängt Stephan Orth diese Fragen ein und stellt einzelne Punkte heraus, woraus sich neue Fragen ergeben? Schnell wird klar, der Konflikt ist so komplex wie vielschichtig. Wenn er zum Beispiel nach den Reaktionen der Menschen hierzulande gefragt wird oder er sich die Kommunikation mit seinen Kontakten aus Russland in Erinnerung ruft, wenn also Linien des Konflikts plötzlich in der eigenen WhatsApp-Liste zu Tage treten.

Im vorliegenden Sachbuch kommt dies alles zur Sprache. Nichts wird ausgespart, zudem diesmal auch die persönliche Komponente von Freundschaft und Beziehung hinzu kommt. Das ergibt ein vielschichtig komplexes Puzzle. Immer wieder werden Gegensätze herausgestellt, um zu zeigen, dass eben nichts so einfach ist, wie uns dies aus- und inländische Populisten weißmachen möchten, dass der größte Fehler jedoch ist, nichts zu tun. Dieser andere Blickwinkel ist erhellend.

Kurzweilig in klaren Sätzen weiß Stephan Orth Geschichten zu erzählen, ohne dass dies eine voyeuristische Komponente hätte. Vielmehr einfühlsam versucht der Journalist zu ergründen, worin die Ukrainer ihren Mut und Durchhaltewillen nehmen. Durchsetzt immer wieder mit Fotos, einen großen Farbbildteil und, wie in seinen anderen Reportage-Büchern auch, mit einer stilisierten Landeskarte, ist so eine lesenswerte Reportage von einem Land im Ausnahmezustand entstanden. Alle sollten sie lesen.

Autor:
Stephan Orth wurde 1979 in Münster geboren und ist ein deutscher Journalist und Autor. Zunächst studierte er Anglistik, Wirtschaftswissenschaften in Wuppertal, anschließend Journalismus in Brisbane, Australien. Von 2007-2008 absolvierte er ein Volontariat bei Spiegel Online und arbeitete anschließend als Redakteur. 2012 begab er sich auf eine Inlandeis-Expedition nach Grönland und veröffentlichte 2015 seinen Reisebericht „Couchsurfing im Iran“. Seit 2016 ist er freiberuflicher Autor. Stephan Orth lebt in Hamburg.

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Vera Politkowskaja: Meine Mutter hätte es Krieg genannt

Inhalt:
Am 7. Oktober 2006 wird die Journalistin Anna Politkowskaja vor ihrer Wohnung in Moskau ermordet. Es ist das tragische Ende einer jahrzehntelangen Verfolgung durch den russischen Staatsapparat. Auf einen Schlag wird Anna Politkowskaja zur weltweiten Symbolfigur für den Kampf um Gerechtigkeit und Meinungsfreiheit. Bis heute gilt sie als eine der wichtigsten Kritikerinnen von Putins Russland. In diesem Buch erzählt ihre Tochter erstmals die ganze Geschichte ihrer Mutter: persönlich, bewegend und erschreckend aktuell. (Klappentext)

Rezension:

Meine Mutter war nie bequem. Weder für die russischen Behörden noch für den Durchschnittsbürger, der in einer Zeitung blättert und die Artikel liest.

Vera Politkowskaja: Meine Mutter hätte es Krieg genannt

Immer war sie Überbringerin schlechter Nachrichten, die Journalistin, die über die Wahrheit schrieb, über Soldaten, Banditen und gewöhnliche Menschen, die im Fleischwolf des Krieges gelandet waren. Sie sprach von Schmerz, Tod, zerfetzten Körpern und ahnte früh, dass sie dafür womöglich einen hohen Preis bezahlen müssen würde. Zwei Jahre nach einem Mordanschlag während eines Fluges nach Beslan wurde Anna Politkowskaja vor ihrer Wohnung schließlich ermordet. Genau an dem Geburtstag des Mannes, dessen schärfste Kritikerin sie war. Wladimir Putin.

Jahre nach den Mord, der aus westlicher Sicht bis heute nicht als vollständig aufgeklärt gilt, ist die Journalistin, die wie keine andere für den Kampf umd Wahrheit und Meinungsfreiheit in ihrem Heimatland vergessen, doch ihr Schaffen wirkt nach im Leben ihrer Kinder, deren Abstammung erneut zum Lebensrisiko wird, als Russland einen neuen Krieg vom Zaun bricht. Kurz nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs, der in Russland nur „Spezialoperation“ genannt werden darf, sieht sich die Tochter der Journalistin gezwungen, mit ihrer Tochter außer Landes zu fliehen und beginnt zu erzählen. Vom Leben ihrer Mutter, journalistischer Größe und dem Verschwinden der Freiheit schreibt die Autorin und setzt damit Anna Politkowskaja ein Denkmal.

Die Menschen, über die in ihren Artikeln sprach, waren nicht bloß „Quellen“, flüchtige Kontakte, die ihr lediglich dazu dienten, die für ihre Arbeit notwendigen Aussagen zu sammeln. Sie nahm Anteil an ihrem Schmerz, ihrem Unglück.

Vera Politkowskaja: Meine Mutter hätte es Krieg genannt

Beginnen tut sie in der Gegenwart und spannt dabei den Bogen zur Geschichte ihrer Familie, die immer wieder aufgegriffen wird und verrät, wie Anna Politkowskaja zu den Menschen wurde, den wir kennen und lässt zudem hinter die Fassade blicken. An Kritik sparen tut sie dabei nicht, an ihrer Mutter, die die Gefahren, die eine Arbeit wie diese, in einem zunehmend autoritärer werdenden Staat mit sich bringt, durchaus richtig einschätzen konnte und dennoch bis zur physischen Erschöpfung sich Themen und Protagonisten ihrer Texte zu eigen machte, als auch an sie als Privatmensch, der nie ein einfacher gewesen ist.

Aber auch und natürlich das System, innerhalb dessen sie Journalismus in Reinform betrieb wird nicht ausgespart. Wie gestaltete sich journalistische Arbeit gegen den Strom, gegen politischen Druck, in einem Land, welches einer zunehmend gleichgeschalteten Medienlandschaft erlag? Auch dieser Frage geht Vera Politkowskaja nach, immer nach der Suche nach dem Antrieb ihrer Mutter und einer Erklärung für etwas, was nicht zu erklären ist.

Die Mehrzahl der Kollegen hatte […] eine ziemlich distanzierte, wenn nicht sogar offen kritische Haltung meiner Mutter und ihrer Arbeit gegenüber. Auch wenn sie sich nach ihrem Tod zu Lobeshymnen aufschwangen und ihre Verbundenheit beteuerten.

Vera Politkowskaja: Meine Mutter hätte es Krieg genannt

Auch wenn dies unpassend klingen mag, diese Lebensgeschichte, im Kontext des gesellschaftlichen und politischen Geschehens im Russland Politkowskajas liest sich ungemein spannend. Die Journalistin, der es immer darum ging, die Wahrheit zu beschreiben, den Menschen eine Stimme zu geben, und den Hintergründen nachzuspüren, bekommt hier klare Konturen. Eindrucksvoll werden hier die Differenzen zwischen der Privatperson und der Politkowskaja dargestellt, die die Welt kannte, aber auch, wie Journalismus unter den Druck von Extrembedingungen funktionierte. In klaren Sätzen zeigt sich der Versuch, der als gelungen zu bezeichnen ist, einem Leben nachzufühlen und zugleich, Parallelen zu sich selbst zu ziehen. Gleichwohl die Autorin einen ganz anderen Weg eingeschlagen hat.

Wie viel Druck verträgt ein Mensch? Welchen Preis verlangt die Wahrheit? Fragen, die zwischen den Zeilen gestellt werden. Andere dagegen bleiben komplett unbeantwortet. In Russland ist der Journalismus, wie ihn Anna Politkowskaja betrieben hat, die diese beantwortet hätte können, mit ihr gestorben. Mit ihren Texten und diesem Buch aber bleibt zumindest hier ihr Denkmal gewart.

Autorin:
Vera Politkowskaja wurde 1980 in Moskau geboren und ist die Tochter der weltbekannten Journalistin Anna Politkowskaja. Nach Aubruch des Ukraine-Krieges floh sie zusammen mit ihrer Tochter an einem sicheren Ort.

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